Verdeckter Widerstand in demokratischen Gesellschaften – Salon Windrose mit Prof. Ferdinand Sutterlüty
- juergenkronz4
- vor 2 Stunden
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Am "Tag der Arbeit" versammelten sich zahlreiche Interessierte im Kulturcafé Windrose, zu einer besonderen Buchvorstellung: Der Frankfurter Soziologe Prof. Ferdinand Sutterlüty las aus seinem aktuellen Werk "Widerstehen – Versuche eines richtigen Lebens im Falschen".
Die Anwesenden hatten sich bewusst für einige Stunden der Denkanstöße statt Sonnenschein im Biergarten entschieden. Behrent bedankte sich im Namen der Windrose und nutzte die Gelegenheit, die Windrose vorzustellen: 1976 für südeuropäische Gastarbeiter gegründet, widmet sich der Verein seit 2012 vorwiegend der Unterstützung von Geflüchteten – siehe „Verein“ im Menü hier auf der Webseite.
In seinem Buch porträtiert Sutterlüty acht Menschen, die auf ihre Weise Widerstand leisten – gegen Ungerechtigkeit, gesellschaftliche Normen oder herrschende Wirtschaftssysteme.
Was alle Geschichten verbindet, ist die Idee des "richtigen Lebens im Falschen" - Menschen, die in unterschiedlichen Kontexten und aus unterschiedlichen Positionen heraus versuchen, gegen herrschende Verhältnisse Widerstand zu leisten. Sutterlüty zeigt, dass dieser Widerstand oft verdeckt sein muss, besonders wenn die Machtverhältnisse stark ungleich sind. Die Porträtierten finden jeweils eigene Wege, um innerhalb ihrer Möglichkeiten authentisch zu leben und gleichzeitig gegen das anzugehen, was sie als falsch oder ungerecht empfinden.
Die Lesung, bei der Sutterlüty von seiner Frau Beate unterstützt wurde, stellte drei dieser Porträts vor:
Die Geschichte von Iwona S. zeigte eindrucksvoll, wie verdeckter Widerstand funktionieren kann, wenn man in einer machtunterlegenen Position ist. Die polnische Putzfrau kämpfte in Hotels für faire Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Durch strategisches Wissen, Vernetzung und Beharrlichkeit erreichte sie schließlich die Auszahlung erheblicher, verdienter aber nicht ausgezahlter Löhne für sich und ihre Kollegen. Der Fall zeigt auch die prekäre Lage vieler Arbeitsmigranten und die strukturelle Ausbeutung im Niedriglohnsektor. "Verdeckter Widerstand bietet den taktischen Vorteil, dass man die andere Seite überraschen kann," erläuterte Sutterlüty.
Eine ganz andere Form des Widerstands zeigen Cornelia und Franz V., ein Bergbauernpaar aus Österreich. Mit nur fünf Kühen, ohne Auto und als weitgehende Selbstversorger leben sie bewusst gegen den Strom der Zeit. Sie kritisieren implizit die Ineffizienz moderner Systeme, die vielleicht Zeit sparen, aber andere wertvolle Aspekte wie Naturverbundenheit und gemeinschaftliche Erfahrungen abspalten. Die bewusste Begrenzung als Form des Widerstands gegen ein System, das ständiges Wachstum fordert. Cornelia V. beschreibt ihren Ansatz sozialer Subsistenz - Nachbarschaft als wesentlicher Teil eines selbstversorgenden Lebens. Für sie bedeutet diese Form der Subsistenz gegenseitige Hilfe und tägliche Kommunikation, die für sie genauso wichtig ist wie die materielle Selbstversorgung.
Eine weitere Geschichte beleuchtete Geschlechteridentität und gesellschaftliche Randgruppen: sie dokumentiert das Leben von Transfrauen und entwickelt dabei einen ungewöhnlichen Blick auf Geschlechterverhältnisse. Die Transfrauen gesehen als verkörperten "gesellschaftlichen Widerstand" - durch ihre bloße Existenz stellen sie binäre Geschlechtervorstellungen in Frage. Die Geschichte zeigt, wie Transmenschen verbinden können, dass es nicht nur Tag und Nacht gibt, sondern auch Dämmerung, Mittag und Abend.
Sutterlüty erläuterte auch seinen ungewöhnlichen Ansatz, der Soziologie und Literatur verbindet:
"Ich musste lernen, mich aus dem Text herauszunehmen, nicht zu interpretieren", beschrieb er seine Methode. "Die Personen finden sich in meinen Texten wieder – das bestätigt mich darin, dass ich nicht daneben gegriffen habe."
Und auch kulinarisch war der Abend ein voller Erfolg: Unsere Curry Merguez mit Wedges und die Pinsa sorgten für zufriedene Gesichter – die Fotos geben einen kleinen Vorgeschmack für den nächsten Besuch!
Einige Publikumsfragen finden sich unten... Der Abend endete mit der Möglichkeit, das Buch von der Buchhandlung Libra zu erwerben und vom Autor signieren zu lassen - am Ende waren geschätzt zwei Drittel des Stapels verkauft!
Wir danken Ferdinand und Beate Sutterlüty für diesen inspirierenden Abend und allen Besucherinnen und Besuchern für ihr Interesse und von Herzen gegebene Spenden, die unsere Arbeit mit Geflüchteten unterstützen.
PUBLIKUMSFRAGEN:
In der anschließenden Diskussion sprach Sutterlüty über seinen Auswahlprozess, bei dem er aus ursprünglich 40 Interviews die acht Porträts für sein Buch auswählte.
Zur Forschungsmethodik: Wie Sutterlüty die porträtierten Personen gefunden habe? Der Autor sprach von "detektivischer Arbeit" und seinem sozialen Netzwerk. Der Versuch, über Gewerkschaften an widerständige Menschen zu kommen, habe nicht funktioniert – persönliche Kontakte seien letztlich der Schlüssel gewesen.
Zum persönlichen Lernprozess: Ob die Interviews auch Impulse für sein eigenes Leben gegeben hätten? Sutterlüty reflektierte, dass ihn besonders die Aussage eines Seenotretters im Mittelmeer berührt habe, der mit traumatischen Erlebnissen konfrontiert war - unter anderem hatte er ein totes Baby aus dem Meer bergen müssen. Der Seenotretter sagte: "Wenn das der Preis unseres Wohlstandes ist [...], kann dieser Staat nicht auf meine Loyalität hoffen." Diese konkrete Veranschaulichung des abstrakten Wissens um die Kosten unseres Wohlstands habe Sutterlüty tief beeindruckt.
Zur Reaktion der Porträtierten: Wie den Porträtierten selbst nach Fertigstellung des Buches ihre Geschichte darin gefallen habe? Aus forschungsethischen Gründen habe er den Personen ihre Texte vor der Veröffentlichung zukommen lassen. In einem Fall verstärkte er die Anonymisierung, um eine Person besonders zu schützen. Die meisten Rückmeldungen seien sehr positiv gewesen.